05. Juni 2025

Objekt des Monats Juni 2025 Objekt des Monats Juni 2025

„Die Blaue Stunde“ von Max Klinger als Vorlage für Lehre und Publikation

„Die Blaue Stunde“ von Max Klinger als Vorlage für Lehre und Publikation

Objekt des Monats Juni 2025
Objekt des Monats Juni 2025 - „Die Blaue Stunde“ von Max Klinger als Vorlage für Lehre und Publikation © KHI Bonn
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Titel: Die Blaue Stunde von Max Klinger

Urheber:in der Fotografie: E. A. Seemann Verlag

Entstehungszeit der Aufnahme: um 1916

Technische Angaben: Dreifarbendruck, 20,2 x 19,3 cm (Bildmaß), 32,5 x 25 cm (Blattmaß)

Provenienz: Vor 1945 in die Sammlung gelangt und auf Pappe aufgezogen

Inventarnummer: 033309

Kommentar:

Bereits zu Lebzeiten Max Klingers (1857–1920) befassten sich Kunsthistoriker mit seiner Kunst, wie zahlreiche Publikationen zwischen 1899 und 1926 zeigen.[1] Die Bedeutung des Bildes Die Blaue Stunde (auch bekannt als L’heure bleue) als eines der Hauptwerke des Künstlers und der damaligen Rezeption moderner Kunst lässt sich an seiner Erwerbungsgeschichte ablesen: Das Museum der Bildenden Künste in Leipzig erwarb das Gemälde im Jahr 1904 für 60.000 Mark, während die Hamburger Privatsammlung Wertheim zehn Jahre zuvor lediglich 5.000 Mark dafür zahlte.[2] Auf dem Bild sind drei unbekleidete Frauen vor einem blau-grauen Hintergrund zu sehen, die sich um ein verdecktes Feuer versammelt haben. Dieses und die „blaue Stunde“ der Dämmerung beleuchten die Figuren in verschiedenen Farben, was der Künstler bei jeder der Frauen studienhaft variierte. Klinger schuf das Werk im Jahr 1890 während seines Aufenthalts in Rom, basierend auf Studien, die er zuvor in Paris angefertigt hatte. Seine Intention war es, drei Varianten „stiller Beschaulichkeit“ zu charakterisieren.[3]

Die Abbildung, die nicht im klassischen Sinne als Abzug, sondern als Dreifarbendruck, ähnlich der Herstellung von Postkarten, bezeichnet werden kann, geht auf den Verlag E. A. Seemann zurück, der in vielen Publikationen[4] als Bildquelle genannt wird. Neben einer Reihe von Kunstzeitschriften wie der Zeitschrift für bildende Kunst oder dem Jahrbuch für Kunstwissenschaft publizierte der Verlag auch Monografien und Mappenwerke mit teilweise farbigen Reproduktionen zu Künstlern.[5] In einer Edition für Max Klinger mit Vorwort des Geschäftsführers Gustav Kirstein[6] findet sich auch dieses Objekt sowie ein weiteres aus der Sammlung, welches das Gemälde Spiel mit dem Kranz (Inv. Nr. 033308) zeigt.[7]

Die handschriftlichen Ergänzungen des Titels und der Lebensdaten des Künstlers auf dem Karton unterscheiden sich in Duktus und Material, denn während der Eintrag des Künstlernamens in Tinte geschrieben wurde, verwendete der Autor der späteren Ergänzungen vermutlich einen Kugelschreiber. Diese Handschrift lässt sich Heinrich Lützeler (1902–1988) zuordnen. Er war bereits 1945 in der Bau- und Grundstückskommission am Wiederaufbau der Bonner Universität beteiligt und wurde 1946 als erster Professor der Kunstgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg berufen. Daraufhin übernahm er die Leitung des Instituts, die er später mit Herbert von Einem teilte.[8]

In seiner Vorlesung Kunst des 20. Jahrhunderts im Wintersemester 1954/1955 nahm Lützeler auf Die Blaue Stunde Bezug. Im Vorlesungsskript ergänzte er handschriftlich die intendierte Verwendung eines Diapositivs, sodass ein Abgleich der Handschriften möglich ist.[9] Auch im darauffolgenden Sommersemester nahm Lützeler in der gleichnamigen Veranstaltung, die das Programm der vorherigen erweitern sollte, das Werk als Beispiel für Klinger und seine Verwendung von Farbe im Vergleich mit Gauguin. Er schrieb im Skript für die Vorlesung: „Klinger hier als Repräsentant der Ahnungslosigkeit angeführt. Noch unzählige andere Maler verwandten die Farbe, als wäre sie keine – schildernd, nicht schaffend. Darum das Matte und Fade ihrer Bilder (abgesehen davon, daß sie den Mythos naturalistisch inszenierten, statt ihn übergegenständlich zu gestalten). Gerade hier Gauguins Auffassung der Farbmusik deutlich. [...]“.[10] Aufgrund der Handschrift und des wiederholten Bezugs auf das Gemälde ist davon auszugehen, dass die Abbildung aus der Fotosammlung als Vorlage für die Herstellung eines Kleinbilddias diente, das in der Vorlesung verwendet wurde. Dies wird durch die hohe Produktion von Dias im Institut[11] sowie Lützelers Beiträge zur Sammlung, die deren weitere Verwendung neben der Diathek unterstützen [12], bestätigt.

Lützeler nutzte die Abbildung zudem für seine Publikation Wege der Kunst. Grundlagen der Kunst (1967). Im Abbildungsnachweis weist der Autor darauf hin, dass Abbildungen ohne Nachweis dem „Archiv des Verfassers, dem Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn und dem Herder-Archiv” entstammen. Dies ist bei der Abbildung Der Blauen Stunde der Fall. Auch hier kritisierte Lützeler das Gemälde Klingers und führte Beispiele stärker abstrahierender Künstler an, die er als gelungener bewertete. [13]

 

Ab dem 17. Juli 2025 werden die Funktionen der Fotosammlung in den Jahrzehnten nach 1945 in der Ausstellung Abbild der Zeit. Die Moderne und ihre Kunst in der Fotosammlung des KHIs im Paul-Clemen-Museum präsentiert. Neben dem Wandel der Forschungsinteressen, der sich in den modernen Sammlungsbeständen widerspiegelt, werden auch die Einflüsse des politischen Klimas zwischen Ost und West sowie der aufstrebenden zeitgenössischen Kunstszene im Rheinland auf das Kunsthistorische Institut erstmals beleuchtet.

Jasmin Roth

 

Anmerkungen:

[1] Schmidt/Zöllner 2008, S. 10. Beispielsweise Meissner 1899; Servaes/Muther 1902; Kühn 1907; Avenarius/Singer 1917; Kirstein 1917; Schmid 1926.

[2] Vgl. Museum der Bildenden Künste Leipzig 1909, S. 95; Kühn 1907, S. 300. Zur Bewertung Klingers, seiner Bedeutung für das Museum der Bildenden Künste in Leipzig sowie eine genauere Darstellung zum Erwerb seiner Werke (u. a. Die Blaue Stunde), siehe Schmidt/Zöllner 2008; Hartleb 1995.

[3] Lützeler 1967, S. 162f.; Kühn 1907, S. 300–302; Schmid 1926, S. 102.

[4] Museum der Bildenden Künste Leipzig 1909, Kühn 1907, Kirstein 1917.

[5] Langer 1983.

[6] Gustav Kirstein war im Besitz mehrerer Werke Klingers und publizierte einige Bildbände zu dem Künstler. (Kirstein 1917, S. 10).

[7] Kirstein 1916. Die beiden Werke sind ebenfalls im Verzeichnis des Verlags als bestellbare „farbige Kopien“ zu finden. (Vgl. Seemann 1927, S. 186). Insgesamt neun Abbildungen, davon vier farbig, zeigen weitere Gemälde Klingers, die sich in der Fotosammlung des Instituts befinden. Zudem sind zehn Abzüge aus Klingers Reihe Der Handschuh mit den Nummern 113–122 vorhanden, die in der Kunsthalle Bremen verwahrt werden. Diese wurden jedoch erst 1964 angekauft. (Vgl. Inventarbuch der Fotosammlung des Kunsthistorischen Instituts von 1945–2005, S. 54). Auch ein vorhandenes Glasbilddia (allerdings in Schwarz-Weiß), das höchstwahrscheinlich im Institut selbst hergestellt wurde, bestätigt die Bedeutung des Werks für die Lehre.

[8] Kanz 2018, S. 21; Klein 2018, S. 180.

[9] Stadtarchiv Bonn, Signatur SN 117-245, Skript der Vorlesung „Kunst des 20. Jahrhunderts“ des WS 1954/55, S. 24.

[10] Ebd., Skript der Vorlesung „Kunst des 20. Jahrhunderts“ des SoSe 1955, S. 14.

[11] So produzierte das Fotolabor beispielsweise von April 1955 bis April 1956 insgesamt 3.201 neue Diapositive, während nur 278 Dias auswärts angekauft oder dem Institut geschenkt wurden. (Stadtarchiv Bonn, Signatur SN 117-115).

[12] In Briefen an Günter Bandmann (Nachfolger von Einems) und Eduard Trier (Nachfolger Lützelers) erwähnt Lützeler mehrfach Kataloge, die er dem Institut zur Verwendung in der Fotothek zusandte. (Stadtarchiv Bonn, Signatur SN 117-116.1f.).

[13] Lützeler 1967, Abb. 133 auf S.163, Abbildungsnachweis S. 280. Lützeler verglich hier Klingers Werk als Beispiel für das Phänomen der blauen Stunde mit Auguste Renoirs Die Schaukel und Paul Klees Der Goldene Fisch und Blaue Nacht, wobei er Klinger mit „[...] nur Wirklichkeit, und nicht gerade schönster Art!“ bezeichnete. Er kritisierte, dass der „handfeste Realismus“ des Modells die Szene bestimme und so ein „Stimmungsgewebe“ unmöglich mache, während er Klees Ausführung lobt. Ebd. S. 162–164.

 

Literatur:

Avenarius/Singer 1917
Ferdinand Avenarius & Hans Wolfgang Singer: Max Klinger als Poet, München 1917

Hartleb 1995
Renate Hartleb: Die Geschichte der Max-Klinger-Sammlung im Museum der Bildenden Künste Leipzig, in: Max Klinger. Bestandskatalog der Bildwerke, Gemälde und Zeichnungen im Museum der Bildenden Künste Leipzig, hg. von Herwig Guratzsch (Ausst.-Kat. Leipzig, Museum der Bildenden Künste, 03.05.-23.07.1995), Leipzig 1995, S. 13–29

Kanz 2018
Roland Kanz: Kunstgeschichte in Bonn, in: Roland Kanz (Hrsg.): Das Kunsthistorische Institut in Bonn. Geschichte und Gelehrte, München 2018, S. 11–51

Kirstein 1916
Gustav Kirstein: Max Klinger. Sechs farbige Wiedergaben seiner Werke (Seemanns Künstlermappe 18), Leipzig 1916

Kirstein 1917
Gustav Kirstein: Die Welt Max Klingers, Leipzig 1917

Klein 2018
Heijo Klein: Heinrich Lützeler (1902-1988), in: Roland Kanz (Hrsg.): Das Kunsthistorische Institut in Bonn. Geschichte und Gelehrte, München 2018, S. 177–191

Kühn 1907
Paul Kühn: Max Klinger, Leipzig 1907

Langer 1983
Alfred Langer: Kunstliteratur und Reproduktion. 125 Jahre Seemann Verlag im Dienste der Erforschung und Verbreitung der Kunst, Leipzig 1983

Lützeler 1967
Heinrich Lützeler: Wege zur Kunst. Grundlagen der Kunst, Freiburg 1967

Meissner 1899
Franz Hermann Meissner: Max Klinger (Das Künstlerbuch 2), Berlin 1899

Museum der Bildenden Künste Leipzig 1909
Museum der Bildenden Künste Leipzig (Hrsg.): Katalog der Sammlungen von Kartons, Aquarellen, Bildhauerwerken und Gemälden des Museums der Bildenden Künste in Leipzig, München 1909

Schmid 1926
Max Schmid: Max Klinger, Bielefeld 1926

Schmidt / Zöllner 2008
Hans-Werner Schmidt & Frank Zöllner: Max Klinger: Von Ehrung zu Ehrung bei sich wandelnder Wertschätzung. Ein Vorwort, in: Pavla Langer (Hrsg.): Max Klinger. Wege zur Neubewertung, Leipzig 2008, S. 6–14

Seemann 1927
Farbige Gemäldewiedergaben. Systematisches Verzeichnis von 3000 farbentreuen Kunstblättern nach den bedeutendsten Bildern alter und neuer Zeit aus allen europäischen Galerien, hrsg. von E. A. Seemann, Leipzig 1927, DOI: https://doi.org/10.11588/diglit.69877

Servaes/Muther 1902
Franz Sevaes & Richard Muther (Hrsg.): Max Klinger (Die Kunst 4), Berlin 1902

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