05. Februar 2025

Objekt des Monats Februar 2025 Objekt des Monats Februar 2025

Fotografie des Kopffragments einer Sibyllenbüste von Niclaus Gerhaert

Fotografie des Kopffragments einer Sibyllenbüste von Niclaus Gerhaert

Objekt des Monats Februar 2025
Objekt des Monats Februar 2025 - Fotografie des Kopffragments einer Sibyllenbüste von Niclaus Gerhaert © KHI Bonn
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Titel: Fotografie eines Fragments einer weiblichen Büste von Niclaus Gerhaert

Urheber der Fotografie: unbekannt

Entstehungszeit der Aufnahme: nach 1933

Technische Angaben: Fotografie, 17,7 x 21,6 cm (Bildmaß)

Provenienz: unbekannt

Inv.Nr.: 052154

 

Kommentar:

Neckisch den Betrachter anblickend lehnt sich die junge Frau aus dem Fenster heraus und scheint leicht zu lächeln. Unter dem locker um den Kopf herum gewickelten Tuch kommt ein ovales Gesicht zum Vorschein. Ihre lange gerade Nase und das Kinn sind spitz nach vorne formuliert, der volle Mund und das Grübchen am Kinn bilden durch die weichere Modellierung einen reizvollen Kontrast. Die porträthaften Gesichtszüge haben die Forschung dazu geleitet, in dem Werk das Abbild einer realen Person zu sehen. Zusammen mit der zweiten Büste vom Portal der alten Kanzlei in Straßburg, die einen alten Mann mit langem Bart und Turban zeigt, soll hier ein berühmtes Liebespaar aus der Entstehungszeit präsentiert sein, Graf Jakob von Hanau-Lichtenberg und seine Geliebte Bärbel von Ottenheim. Die beiden Büsten sind heute nur als Fragmente erhalten, aber ihr ursprüngliches Aussehen ist durch Gipsabgüsse – wie z.B. im Bestand des Paul-Clemen-Museums [1] – überliefert.

Während die Deutung der beiden Figuren in der Forschung kontrovers diskutiert wurde [2], ist der Bildhauer durch Quellen bekannt. Geschaffen wurden sie von Niclaus Gerhaert von Leyden (1430–1473) im Auftrag des Stadtrats 1463/64. Obwohl die alte Kanzlei 1686 durch einen Brand und während der Französischen Revolution 1789 durch Vandalismus Beschädigungen erlitt, hatten diese Ereignisse kein Einfluss auf die dekorativen Teile des Portals. Nach dem Abriss des Portals Anfang des 19. Jahrhunderts übergab man die beiden Figuren der städtischen Altertumssammlung in der Dominikanerkirche.[3] Im Deutsch-Französischen Krieg wurde die Kirche 1870 bombardiert und fing Feuer. Bei dem Brand wurden auch die beiden Büsten zerstört, deren einstiges Aussehen nur über Gipsabgüsse dokumentiert ist. Auf älteren Fotos der Skulpturen, die noch vor dem Brand entstanden, waren nicht die Originalbüsten aus rotem Sandstein, sondern bereits die Gipsabgüsse zu sehen. Aus heutiger Sicht eine unverständliche Entscheidung, damals aber gängige Praxis, denn in der Schwarz-Weiß-Fotografie ist die Modellierung anhand der hellen Oberfläche besser nachvollziehbar.[4]

Erst 40 Jahre später tauchte der Kopf der männlichen Büste im Geschichtsmuseum in Hanau auf. Wie das Fragment dorthin gelangte, ist unbekannt. Möglicherweise hat ein deutscher Soldat das Fragment in den Ruinen der Dominikanerkirche gefunden und diesen in seine Heimat mitgenommen. 1915 gab man den Kopf in den Straßburger Museumsbestand zurück. Während die Geschichte des sog. Jakob von Lichtenberg also schnell ein gutes Ende fand, wurde die weibliche Figur aus dem Portal zum Zankapfel der Nationen. Anders als beim männlichen Kopf konnte ihre Provenienz nach dem Brand von 1870 geklärt werden [5]: 1871 kaufte der Prähistoriker Christian Mehlis (1850–1933) das Fragment – auch von ihr war nur der Kopf erhalten – von einem Trödler in Straßburg. Nach seinem Tod erwarb das Historische Museum in Speyer das Fragment, wo es schnell als „Bärbel“ von der Alten Kanzlei erkannt wurde. Damit begann das Tauziehen um das Kopffragment, dessen Wert Dank der Identifizierung deutlich gestiegen war. Während die Erben Mehlis´ sie zurückforderten, belegte die deutsche Regierung das Fragment mit einem Ausfuhrverbot. Drei Museen – in Berlin, Straßburg und Frankfurt – bemühten sich um den Erwerb des Kopfes, den man zu den wichtigsten Werken der deutschen Kunst zählte. Der Briefwechsel zwischen den Kunsthistorikern sowie die Zeitungsberichte machen deutlich, wie in dieser Zeit Kunst politisch funktionalisiert wurde. Den wahrscheinlich aus den Niederlanden stammenden Niclaus Gerhaert beschrieb man als „größten nationalen Bildhauer“ und für die „Bärbel“ bemaß man dieselbe Bedeutung wie für die Büste der Nofretete (um 1351–1334 v. Chr.) im Ägyptischen Museum in Berlin: wenn sie nach Berlin käme, wäre sie „für alle ein Symbol der deutschen Kunst“ [6]. Aber anstatt dem Museum in Berlin gelang es dem Frankfurter Städel-Museum, das Fragment 1935 zu kaufen. Die Nachricht über die Neuerwerbung wurde in der deutschen Presse „wie ein nationaler Sieg“ [7] gefeiert.

Hilja Droste

 

Anmerkungen:

[1] Gipsabguss der Büste einer Sibylle (sog. Bärbel von Ottenheim) vom Portal der alten Kanzlei in Straßburg (1463/64), Datierung: unbekannt, Gips, 52 cm x 31 cm x 31 cm, Provenienz: unbekannt, Paul-Clemen-Museum des Kunsthistorischen Instituts Bonn.

[2] Zur Forschungsdiskussion über die Deutung der beiden Figuren siehe: Maek-Gérard 1985, 247 und Dupeux 2011. Seit Anfang der 20. Jhs. sprechen sich die meisten Forscherpositionen für die Deutung der beiden als Prophet und Sibylle aus.

[3] Rosebrock 2012, 109.

[4] Dupeux 2011, 97.

[5] Ausführlich zur Erwerbungsgeschichte der weiblichen Büste siehe Rosebrock 2012.

[6] Brief von Theodor Demmler (Direktor der Deutsche Museum in Berlin) an Otto Schmitt am 7. August 1934. Zitiert nach: Rosebrock 2012, 114.

[7] Ebenda, 119.

 

Literatur:

Dupeux 2012

Dupeux, Cécile, Niclaus Gerhaerts Büsten am Strassburger Kanzleiportal. Geschichte und Rezeption vom 15. bis zum 20 Jahrhundert, in: Ausstellungskatalog Stefan Roller (Hrsg.), Niclaus Gerhaert. Der Bildhauer des späten Mittelalters, Frankfurt am Main (Liebieghaus Skulpturensammlung) – Straßburg (Musée de l´Oeuvre Notre-Dame) 2011/2012

BK Frankfurt 1985

Bestandskatalog Michael Maek-Gérard, Die deutschsprachigen Länder ca. 1380-1530/40 (Nachantike grossplastische Bildwerke, Bd. III, hg. v. Herbert Beck), Melsungen 1985

Rosebrock 2012

Tessa Rosebrock, Die Büste der Bärbel von Ottenheim - eine "germanische Nofretete". Zur Erwerbung eines spätmittelalterlichen Skulpturenfragments in den 1930er Jahren, in: Cahiers alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 55, 2012, S. 109–124

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