Titel der Fotografie: Fotografie einer Lavabo-Garnitur aus dem ehemaligen Darmstädter Silberschatz von Johann Ludwig Biller
Urheber:in der Fotografie: Unbekannt
Entstehungszeit der Aufnahme: Unbekannt, vermutlich vor 1930
Technische Angaben: 18,5 ×14 cm (Bildmaß), 32 x 24,7 cm (Blattmaße)
Provenienz: Unbekannt, vermutlich aus dem Nachlass von Marc Rosenberg
Kommentar:
Nicht alle historischen Kunstwerke haben die Zeiten überdauert. Besonders Objekte der Gold- und Silberschmiedekunst fielen oft der Einschmelzung zum Opfer – zu wertvoll war ihr Material, zu verlockend der Gewinn. Umso wichtiger ist es, dass viele solcher Objekte im Bildarchiv des KHI, auf Fotokarton gebannt, bewahrt sind.[1] So fällt einem mitunter das Foto eines Kunstwerks in die Hände, das einst zu den Glanzstücken einer fürstlichen Schatzkammer zählte – und von dem heute kaum mehr bekannt ist als das, was dieses Bild verrät. Um mehr zu erfahren, muss man sich auf eine Schatzsuche begeben – nicht auf einer einsamen Insel mit Karte und Kompass, sondern zwischen den Regalen einer Bibliothek, digitalisierten Auktionskatalogen und Museumssammlungen.
Die hier abgebildete Gießgarnitur stammt, so viel verrät eine handschriftliche Notiz auf dem Fotokarton, aus der Hand der Augsburger Goldschmiedefamilie Biller. Das gestempelte Meisterzeichen (ILB unter einem Stern) wird dabei Johann Ludwig Biller I zugeschrieben, [2] das Beschauzeichen repräsentiert Augsburg Ende des 17. Jahrhunderts.[3]
Einen weiteren Hinweis für unsere Schatzsuche liefert uns der Vermerk „Darmstadt Großherzogliche Silberkammer“ auf der Vorderseite der Fotopappe. Die Kunst- und Naturaliensammlung der Hessischen Landgrafen, zu der auch die Silberkammer gehörte, war eine der ersten, die der Öffentlichkeit nicht nur zugänglich gemacht wurde, sondern in öffentlichen Besitz überging und somit den Grundstein für das heutige Hessische Landesmuseum Darmstadt (HLMD) legte.[4]
Die Garnitur erinnert – wenn auch in einfacherer Ausführung – an die Gießgarnituren aus dem Großen Silberbuffet im Berliner Schloss, die ebenfalls aus dem Hause Biller stammen und einst zu den zentralen Prunkstücken des preußischen Hofes zählten.[5] Im Vergleich dazu entfaltet die Darmstädter Garnitur ihre Wirkung weniger durch Pracht als durch eine schlichte Schönheit: Der elegant geschwungene Henkel, die reduzierte Motivzahl und die ausgewogene Formensprache verleihen ihr trotz der kräftigen barocken Formen eine überraschende Leichtigkeit.
In einer Publikation von Adolph Schürmann und Ferdinand Luthmer aus dem Jahr 1884 über die herausragenden Objekte der Silberkammer findet sich ein Foto der Gießgarnitur unter dem Titel „Taufbecken und Kanne der großherzoglichen Familie“. Vermutlich handelt es sich – neben der im KHI – um die einzige erhaltene Fotografie der Garnitur. Dem begleitenden Text zufolge wurde das kirchliche Gerät seit etwa 1684 bei Taufen im großherzoglichen Haus verwendet,[6] was Landgraf Ernst Ludwig (reg. 1678–1739) als möglichen Auftraggeber nahelegt. Andere Publikationen datieren die Garnitur etwa 10 bis 20 Jahre später.[7]
Nur ein Teil der Silberkammer gelangte in den Bestand des HLMD, darunter befand sich die Biller-Garnitur nicht.[8] Auch in der weiterhin bedeutenden Sammlung der Nachkommen der hessischen Landgrafen, die im Museum Schloss Fasanerie in Eichenzell aufbewahrt wird, ist das Taufgeschirr heute nicht nachweisbar.[9] Allerdings befand sich dort noch bis spätestens 1986 eine sehr ähnliche Lavabo-Garnitur, wie eine Abbildung in einer Publikation über das Schloss aus jenem Jahr belegt.[10] Bei diesem Stück handelt es sich jedoch nicht um das gesuchte Objekt, das heute als verschollen gilt.[11] Der Zeitpunkt seines Verschwindens ist unbekannt.
Soweit zum abgebildeten Objekt. Doch auch die Fotografie selbst wirft Fragen auf: Woher stammt sie, und wie gelangte sie in das KHI? Vieles spricht dafür, dass sie aus dem Nachlass von Marc Rosenberg stammt. Der Kunsthistoriker widmete sich vor allem der Gold- und Silberschmiedekunst und vermachte 1930 seine Fotosammlung dem KHI. [12] Die Fotopappe ist mit der Nummer R³ 461/62 versehen. Die R³-Zahlen nutzte Rosenberg, um Werke zu kategorisieren. Nicht zuletzt der Fundort im KHI – eine Kiste voller weiterer Abbildungen mit Bezug zu Rosenberg – deutet darauf hin, dass auch diese Aufnahme ihm zuzurechnen ist.
Fest steht: Rosenberg kannte dieses Objekt. In seiner wohl bekanntesten Publikation, Der Goldschmiede Merkzeichen, ist es auf Tafel 14 abgebildet. Allerdings greift er dort auf die Fotografie von Schürmann und Luthmer aus Darmstadt zurück, nicht auf die Aufnahme aus dem KHI.[13] Stutzig macht hierbei, dass die ‚Rosenberg-Nummer‘, die er dem Objekt in Der Goldschmiede Merkzeichen zuordnet, nicht mit der Notiz auf der Pappe übereinstimmt. Hier nutzt er die Nummer R³ 573 t-u. Weshalb das der Fall ist, bleibt offen. Dass Rosenberg die beiden Abbildungen für unterschiedliche Objekte hielt, erscheint jedoch eher unwahrscheinlich. Möglicherweise unterlief der Person, die die Pappen beschriftete, ein Fehler. Ob Rosenberg eine Abbildung mit der Nummer R³ 461/62 je in einer seiner Publikationen verwendet hat – und ob diese mit der Aufnahme aus dem KHI übereinstimmt – bleibt bis zum Abschluss der Recherchen ungeklärt.
Zwar haben wir den Silberschatz (noch) nicht gehoben, doch auf dem Weg dorthin etwas ebenso Wertvolles entdeckt: ein vertieftes Verständnis, neue Fragen und die Lust am Weiterforschen. Die Schatzsuche ist also nicht zu Ende. Sie wartet nur auf die Nächsten, die sich der Herausforderung stellen – vielleicht mit noch größerem Erfolg.
David Henrich
Anmerkungen:
[1] Mehr dazu bei Droste/Mayer 2025.
[2] Vgl. Rosenberg 1922, S. 110f.
[3] Vgl. Rosenberg 1922, S. 31.
[4] Vgl. Ausst.-Kat. Darmstadt 2006–2007, S. 7.
[5] Ausst.-Kat. München 1994, S. 330.
[6] Vgl. Schürmann/Luthmer 1884, Tafel 1. Die Jahreszahl 1684 wird im Text nicht ausdrücklich genannt, lässt sich jedoch aus Luthmers Angabe erschließen, die Garnitur werde „seit mehr als 200 Jahren bei den Taufen im Grossherzoglichen Hause benutzt“. Da seine Publikation im Jahr 1884 erschien, lässt sich daraus ein Nutzungszeitpunkt ab spätestens 1684 ableiten.
[7] Vgl. Rosenberg 1922, Tafel 14, der hier einen Entstehungszeitraum um 1700 angibt und Ausst.-Kat. München 1994, In dem angegeben wird, dass Becken greife das Schema der 1695-1698 entstandenen Berliner Garnituren auf.
[8] Freundliche Auskunft von Dr. Wolfgang Glueber (HLMD) per E-Mail vom 11.06.2025; die Garnitur befand sich nicht unter den ins HLMD übergegangenen Beständen. Ihr Verbleib ist unklar.
[9] Freundliche Auskunft von Dr. Markus Miller (Museum Schloss Fasanerie) per E-Mail vom 17.06.2025. Die Lavabo-Garnitur befindet sich nicht mehr in der Sammlung der Hessischen Hausstiftung; Zeitpunkt und Umstände ihres Verschwindens sind unbekannt.
[10] Schenk zu Schweinsberg 1986, S. 108.
[11] Vgl. Ausst.-Kat. München 1994, S. 334.
[12] Vgl. Droste/Mayer 2025, S. 25.
[13] Rosenberg 1922, Tafel 14.
Literatur:
Ausst.-Kat. Darmstadt 2006
Fundstücke. Von den Anfängen des Museums bis zu seiner Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg, hg. vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt (Ausst.-Kat. Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, 9. November 2006 bis 14. Januar 2007), Darmstadt 2006
Ausst.-Kat. München 1994
Silber und Gold. Augsburger Goldschmiedekunst für die Höfe Europas, hg. von Helmut Seling und Reinhold Baumstark (Ausst.-Kat. München, Bayerisches Nationalmuseum, 23. Februar bis 29. Mai 1994), München 1994
Droste/Mayer 2025
Hilja Droste & Gernot Mayer: Instituts- und Fachgeschichte im Spiegel der Fotografie. Die Fotosammlung des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn, in: Rundbrief Fotografie 32 (2025), Nr. 1, S. 22–34
Rosenberg 1922
Marc Rosenberg: Der Goldschmiede Merkzeichen. Band 1: Deutschland A–C, Frankfurt am Main 1922
Schenk zu Schweinsberg 1986
Eberhard Schenk zu Schweinsberg: Schloß Fasanerie und seine Sammlungen. Beschrieben von Eberhard Freiherrn Schenk zu Schweinsberg, Eschborn 1986
Schürmann/Luthmer 1884
Adolph Schürmann & Ferdinand Luthmer: Großherzoglich Hessische Silberkammer Darmstadt, Darmstadt 1884