Mind the Gap / Mut zur Lücke. Überlieferungsinseln in Schwarzrheindorf – Kontinuitäten, Brüche und ihre Narrative in verschiedenen Disziplinen

Wie wird die Geschichte eines konkreten Ortes in verschiedenen wissenschaftlichen Fächern erzählt? Welcher Stellenwert wird materiellen und immateriellen Zeugnissen und ihren Kontexten zugeschrieben? Und wie gehen die jeweiligen Fachdisziplinen mit ‚Überlieferungslücken‘ um – mit kurzen sowie langen Zeiten ohne Quellen? Diesen Leitfragen widmet sich das Projekt „Mind the Gap / Mut zur Lücke. Überlieferungsinseln in Schwarzrheindorf“ anhand eines Fallbeispiels – dem Ort Bonn-Schwarzrheindorf mit dem benachbarten Frauenkonvent Vilich. Ausgehend von der Perspektive der longue durée fokussiert das Vorhaben auf einen sowohl inter- als auch transdisziplinären Austausch unterschiedlicher geisteswissenschaftlicher Fächer.

Konkret untersucht das Verbundforschungsprojekt in einem ersten Strang den Umgang mit Überlieferungslücken in den Fächern Kunstgeschichte, Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie und Geschichtswissenschaft und vergleicht die in diesen drei Disziplinen vorherrschenden Narrative rund um quellenarme Zeiten, insbesondere der Spätantike und des Mittelalters, in einem interdisziplinären Zugriff. In einem zweiten Strang prüft das Projekt in transdisziplinärer Perspektive inwiefern sich bestehende Überlieferungslücken mit modernen, auch naturwissenschaftlichen Analysemethoden schließen lassen. Auf diese Weise begegnet das Projekt sowohl wissenschaftstheoretischen als auch gegenstandsbezogenen Forschungsdesideraten der einzelnen Disziplinen.

Einerseits bestehen in Schwarzrheindorf und Vilich markante Überlieferungsbefunde – andererseits scheinen diese wie Inseln von quellenlosen Zeiten umgeben zu sein. Dies betrifft beispielsweise das bereits im 20. Jh. ausgegrabene merowingerzeitliche Gräberfeld in Schwarzrheindorf, die im 10. Jahrhundert erfolgte Vilicher Stiftsgründung, die Doppelkapelle aus der Mitte des 12. Jahrhunderts sowie den seit 1361 bestehenden Jüdischen Friedhof. Die Rezeptionsgeschichte dieser ‚Inseln‘ reicht bis in unsere Gegenwart. Am Beispiel dieser Orte setzt die diachrone Betrachtung an, die fachspezifische Kontexte der Entwicklung, Tradierung und Dekonstruktion von Narrativen (Rezeptionsgeschichte) analysiert. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Übernahme von Fakten sowie Hypothesen aus den jeweiligen Nachbardisziplinen, die zur Füllung bestehender Wissenslücken eingesetzt werden. Wie unterscheiden sich die einzelnen Disziplinen im Umgang mit fach- beziehungsweise quellenspezifischen Überlieferungslücken und wie kann die gemeinsame Geschichtsschreibung konstruktiv sowie angemessen kritisch gestaltet werden? 

In den letzten Jahren sind Meistererzählungen in den historischen Wissenschaften vermehrt in den Fokus und zu Recht in die Kritik geraten. Derartige meist auf die Makroebene bezogene Überlegungen finden allerdings häufig keine Übertragung auf die Mikroebene der Lokalforschung. Etablierte Narrative werden gegen den individuellen lokalen Forschungsstand geprüft und aktualisiert. 

Für das Frühjahr 2026 ist eine von Studierenden der drei Fachrichtungen gestaltete Ausstellung geplant, die einen reflektierten Umgang mit Geschichtsschreibung und Geschichtswahrnehmung thematisiert und einer interessierten Öffentlichkeit kommunizieren wird. Die Ausstellung und die initiale Projektphase werden durch den Transdisziplinären Forschungsbereich 5 „Present Pasts: Vergangene Welten – Zeitgenössische Fragen. Kulturen in Zeit und Raum“ der Universität Bonn im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern gefördert.

Das Projekt wird von Dr. Hanna Christine Jacobs (Kunstgeschichte, Bonn), Dr. des. Valerie Palmowski (Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Bonn) und Dr. Dominik Waßenhoven (Geschichte, Köln) durchgeführt.

Schwarzrheindorfer Ufer
© Hanna Jacobs

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Dr. Hanna Christine Jacobs

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